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Historische Gebäude in Graubünden – von Herrschafts- und Religionskämpfen zur Kunst

Aktualisiert: 19. Jan. 2023

Anstelle von modernen sterilen Räumen findet man Kunst in Graubünden oft in historischen Gebäuden. Dieser Artikel beleuchtet einige historische Ereignisse, die den heutigen Kanton Graubünden formten, aus der Sicht dieser heutigen Kunstpilgerorte.


Fundaziun Capauliana im Sennhof Chur

Als die älteste Stadt der Schweiz bezeichnet sich Chur.[1] Obwohl archäologische Funde in der Nähe des Sennhofes und um das Welschdörfli zeigen, dass Chur bereits 11’000 v. Chr. zeitweise besiedelt war, waren es die Römer, die es 15 v. Chr. eroberten und als festen Sitz einnahmen.[2] Im Jahr 451 entstand der Bischofssitz.[3] Das Bistum beeinflusste nicht nur die kirchliche Ordnung, sondern hatte auch wirtschaftliche oder politische Macht über ihr Herrschaftsgebiet. Es war erst der italienischen Kirchenprovinz Mailand angeschlossen und ab 843 zum deutschen Bistum Mainz.


Im 14. Jahrhundert verschlechterte sich die Stimmung unter den Anwohnern in Bezug auf die Kirche, da die Bischöfe zu der Zeit nicht anwesend waren, Ländereien verkauften oder verpfändeten und sich stärker an Österreich anlehnten. Es hatte zur Folge, dass sich die Anwohner zum Gotteshausbund zusammenschlossen und Selbstbestimmung sowie Autonomie forderten. 1527 folgte die Reformation der Stadt Chur [4], was erneut religionsgeleitete Unruhen zwischen den reformierten und katholischen Anhängern im Kanton brachte. Der damalige Churer Stadtrat und Münzmeister des Bischofs erbaute 1603 den Sennhof.[5] Nach ein paar Jahren als Sennerei, Seifenfabrik und Wohnraum kaufte die Stadt Chur das Gebäude 1817, welches dann bis 2020 als Justizvollzugsanstalt diente.


Aktuelle Baurabeiten am Sennhof Chur


Derzeit entstehen im Sennhof Wohnungen und Platz für Gastronomie sowie Kleingewerbe, wo auch die Kunst ihren Platz findet: ab 2023 bezieht die Fundaziun Capauliana einen Teil der aussergewöhnlichen Räumlichkeiten, um ihre Schätze an die Öffentlichkeit zu bringen. Die Fundaziun Capauliana wurde 1986 vom Bündner Duri Capaul und seiner Frau Clara Capaul-Hunkeler gegründet.[6] Ein Leben lang sammelte das Paar Stücke mit einem Bezug zu Graubünden, darunter viele Kunstwerke bekannter Namen wie Segantini, Giacometti, Carigiet, Fontana und viel mehr. Aber auch Karten, Poster, Flyer und mehr gehören zu der grossen Sammlung, welche nun als Stiftung weitergetragen wird. Wer bereits jetzt stöbern möchte kann dies im Online Katalog.



Museum Sursilvan Cuort Ligia Grischa in Trun

In seinem Testament von 675 vermachte der Churer Bischof Tello Grundbesitz in Trun an das Kloster Disentis.[7] Ein Vorgänger des heutigen Gebäudes des Museum Sursilvan wurde vom Kloster als Verwaltungssitz genutzt.[8] Aufgrund verschiedener Kriege in der Region initiierte der damalige Abt des Kloster Disentis 1395 die Gründung des Oberen / Grauen Bundes und folgte damit dem Beispiel des zuvor gegründeten Gotteshausbundes.[9] Noch heute sind die Gründer des Bundes im imposanten Landrichtersaal an der Decke ersichtlich. Der Graue Bund tagte und richtete fortan im Gebäude des Museum Sursilvan. In den 1670er Jahren baute Fürstabt Adalbert II. de Medel das Gebäude in seiner heutigen Form neu. Sein Nachfolger ergänzte die eindrückliche Innenausstattung. Aufgrund eines abermaligen Brandes im Kloster Disentis erlitt dies finanzielle Schwierigkeiten und verkaufte das Gebäude des Museum Sursilvan an den vermögenden Geschäftsmann Gion Giachen Cavegn, welcher es als Wohnraum nutzte.

Aktuelle Eindrücke des Museum Sursilvan


1934 wurde das Gebäude frisch saniert wieder eröffnet und die Stiftung Cuort Ligia Grischa gegründet. Sie erhielt Schenkungen lokaler Künstler, welche ausgestellt sind, so beispielsweise Alois Carigiet oder Matias Spescha. Neben der Kunst gibt es Souvenirs der vergangenen Generationen zu sehen, so die eindrucksvolle hölzerne Innenverkleidung der Abtsstube, Schlafplätze in niedrigen Zimmern oder die alte Küche.


Der dritte Bund, der den Kanton Graubünden bildet ist der 1436 gegründete Zehngerichtenbund in der Region Prättigau. Noch heute markiert der Dreibündenstein den Ort, wo die Gebiete der Drei Bünde aufeinandertreffen. Es dauerte jedoch noch bis ins 18. Jahrhundert, bis Graubünden in der heutigen Form entstand und auch Tarasp noch Teil vom heutigen Graubünden wurde und das Veltlin von Graubünden getrennt wurde. Mehr dazu später.

Aussicht vom Dreibündenstein



Not Vital Schloss Tarasp

Das Schloss Tarasp thront seit 1040 im Unterengadin, erbaut von Ulrich I., der wahrscheinlich von Italien kam.[10] Das Unterengadin war dem Bistum Chur angeschlossen, denn dies wurde immer wieder beschenkt mit Ländereien und konnte sich so fest im Unterengadin etablieren. Die nächsten Generationen der Herren von Tarasp waren verbunden mit den verschiedenen Klostern in der Umgebung. Ulrich II. war erst im Kloster Disentis und wurde später Bischof in Chur. Sein Bruder Eberhard gründete das Kloster Scuol. Zwei Generationen später stiftete Ulrich IV. im Kloster Marienberg im Vinschgau. So kam es weiterhin zu Vererbungen an das Bistum. Im 12. Jahrhundert verstarben die letzten männlichen Ahnen der Tarasper und so starteten um das 13. Jahrhundert Besitzerwechsel an verschiedene Grafen und Herzöge aus der Umgebung (Tirol, Toggenburg, Chiavenna).[11]

Schloss Tarasp und die Treppe zum "house to watch the sunset" von Not Vital


Während sich im 14. und 15. Jahrhundert die Drei Bünde gebildet hatten, blieb Tarasp, weiterhin im Besitz von Österreicher. Aufgrund ihrer Anlehnung an Österreich trat Graubünden bei der Bildung der Eidgenossenschaft im 14. Jahrhundert dieser noch nicht offiziell bei sondern war ein war lediglich Verbündeter. Im 17. Jahrhundert fanden die Bündner Wirren statt. Damit war das Engadin der Schauplatz des Streites zwischen Spanien-Österreich und Frankreich-Venedig über die Kontrolle der Bündner Alpenpässe sowie der Religion.[12] Erst als die Franzosen die Österreicher in Graubünden zurückdrängten wurden die Drei Bünde Teil der Schweiz.[13] Die Mediation von Napoleon Bonapartes half Ruhe und Ordnung den heutigen Kanton Graubünden zu bringen. Mit der Verteilung der Gebiete zwischen Österreich und Frankreich wurde Tarasp Teil von Graubünden. Die Kirche verlor ihren Einfluss auf die Gebiete, denn Kirche und Staat wurden getrennt (Säkularisierung). Das Veltlin, welches damals zu den Drei Bünden gehörte schrieb Napoleon der Cisalipinischen Republik (heute Italien) zu.[14]


Schlosseingang und Innenhof des Schloss Tarasp


Im 20. Jahrhundert kaufte der deutsche Karl August Lingner, Gründer des Odol Mundwassers, das Schloss. Er schmückte es mit der unglaublichen Innenarchitektur aus ganz Europa, die in gewissen Räumen bis heute bestehen blieb: Ein mit einer Orgel versehener Waffensaal mit eindrücklicher Kassettendecke, im Badezimmer Delfter Kacheln aus Holland, flämische Wandteppiche und Holztafeln aus dem Tirol. Im Jahr 2016 erwarb der gebürtige Engadiner Not Vital das Schloss. Er renovierte es und bestückte es mit Kunst aus aller Welt - seiner eigenen, wie auch die von Andy Warhol, Pablo Picasso oder Frank Stella. Die Werke sind oft unauffällig und natürlich im Raum platziert, so wie in einer gewöhnlichen Wohnung doch in ihrem Kontext einzigartig umgeben von Ritterrüstungen, altem Mobiliar und der eindrucksvollen Innenarchitektur. Gleich neben dem Schloss befindet sich eines von Not Vitals House to watch the sunset. Einen ausführlichen Rundgang kann online gebucht werden oder gibt es zum Lesen gibt es auf dem Blog von dominiquevonburg.ch

Aussicht auf das "house to watch the sunset" von Not Vital vom Schloss Tarasp



Muzeum Susch in der alten Klosterbrauerei

Im 12. Jahrhundert wurde in Susch im Unterengadin ein Kloster gegründet, welches auf dem Pilgerweg nach Rom und Santiago de Compostela lag.[15] Die Mönche brauten im Kloster Bier, bis sie sich, wahrscheinlich ausgelöst durch die Reformation und die Bündner Wirren, in das von den Taraspern gegründete Kloster Marienberg zurückzogen.[16] Danach ging der Besitz an die katholisch orientierte Familie von Planta und später Campbell über. Im Jahr 1917 kam es dann aufgrund schlechter Führung und finanzieller Probleme sowie dem Ausbruch des Krieges zur Liquidation der Brauerei. Ab 1991 wurde es für einige Jahre ein Brauereimuseum, doch auch dies rentierte nicht. [17][18]


Aussenansicht des Muzeum Susch mit der Eingangstüre von Mirko Baselgia


Am 2. Januar 2019 eröffnete das Kloster seine Türen wieder, frisch renoviert und seit da unter dem Namen Muzeum Susch.[19] Grazyna Kulczyk hatte die Brauerei und umliegende Gebäude erworben, um darin zeitgenössische Kunst zu zeigen und schaffte damit einen neuen Begegnungsort mit internationaler Relevanz im 200-Seelen Dorf. Von 2015 bis 2018 bauten die Architekten Chasper Schmidlin und Lukas Voellmy das Gebäude um. Nun bilden Kunst, Architektur und Umgebung eine einzigartig harmonische Einheit. Die Engadiner Landschaft kommt ins Gebäude, sei es durch freigelassenen Stein in Innenräumen oder die direkte Sicht auf den vorbeifliessenden Inn. Auch Elemente der zuvor geführten Brauerei sind noch oder wieder ersichtlich, so die Grotte, in der die Biere gelagert wurden oder der wiedergeschaffene Durchgang zwischen dem alten Brauereigebäude und der auf der gegenüberliegenden Strassenseite situierten Erweiterung der Brauerei.


Kunst (Miroslaw Balka & Sara Masüger) sowie die Räume im Muzeum Susch


Die Kunst ist integrierter Teil des Gebäudes durch kommissionierte Werke, die sich perfekt in die Räume geben, die von aussen ersichtliche Eingangstür zum Auditorium von Mirko Baselgia oder das durch die Mauer dringende Tunnel von Sara Masüger. Auch hier findet man ein Turm von Not Vital. Die "White Cube" Räume sind nicht ganz verschwunden. Beim Durchlaufen des Gebäudes findet man doch auch noch klassischere Museumsräume, wo die Kunst mehr in den Vordergrund rückt, doch oft gibt es noch einen Steinboden oder sind Holzbalken ersichtlich. Mehr zum Entstehungsprozess oder der Erschafferin finden Sie im Beitrag von SRF.



Die Kantonsgrenze von Graubünden ist heute gesetzt und der Einfluss der Religion in der Politik ist gemässigt. Doch wie steht es um die Bündnisse? Die Bevölkerung innerhalb Graubündens scheint zusammenzuhalten: Skigebiete schliessen sich zusammen, Graubünden Tourismus wirbt für den Kanton, einzig vielleicht bei den Romanischen Dialekten ist man sich noch uneinig. Dafür sieht man bei der Stimmung um die Bündnisse mit den Nachbarländern oder anderen Kantonen teilweise noch Züge, die der früheren Situation ähneln. Zum einen braucht es die Unterstützung von aussen, um Projekte im Grossen Stil zu verwirklichen, zum anderen kann man sich doch nicht ganz mit den Wegbereitern identifizieren. Die bunten Vögel der Kunstszene stechen auf jeden Fall heraus in den Bergdörfern, ähnliche wie die Adligen im Mittelalter. Mich persönlich begeistert man schnell mit Kunst und Bergen, urchig in den historischen Gebäuden statt neue Klötze zu bauen. Und deshalb kommt jede Unterstützung recht bei Projekten wie das Muzeum Susch, die Engadin Art Talks, das St. Moritz Art Film Festival oder die Pop-Up Art Parcours in Ardez. Nun könnten der Obere/Graue Bund sowie der Zehngerichtenbund noch etwas nachziehen, denn das Engadin ist trotz der Bewältigung der Alpenpässe weiterhin eine längere Reise, schreibt Schreiber.


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Dieser Beitrag ist ein winziger Abriss der Bündner Geschichte möglichst gut verdaulich geschrieben und mit dem Ziel auf die reichlich verfügbaren Kunststätten im Kanton Graubünden aufmerksam zu machen, wie es dieser Blog verspricht. Solltest du Unstimmigkeiten feststellen, freue ich mich auf deine Rückmeldung durch das Kontaktformular im «About» Reiter.

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